Eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren wird unbewusst durch Flugverkehr, Ballastwasser und verunreinigte landwirtschaftliche Erzeugnisse oder bewusst durch Pflanzen- und Tierliebhaber und kommerzielle Händler nach Europa eingeschleppt. Per Definition gelten alle Tiere und Pflanzen die seit dem Stichtag der Entdeckung Amerikas durch Columbus nach Europa eingeführt wurden und sich hier integriert haben als Neubürger. Aufgrund unserer Schwerpunktarbeiten im Grünlandbereich betrachten wir hier nur die Neophytenproblematik.
Innerhalb des letzten Jahrhunderts hat die Verbreitung von Pflanzen und Tieren durch den Menschen ein Ausmaß angenommen, wie es Millionen Jahre natürliche Verbreitung nicht erreichen konnten. Einer natürlichen Ausbreitung folgen zumeist auch ganze Ökosysteme, also auch die angepassten Feinde, Bestäuber und Parasiten. Der Mensch greift hier oft unbedacht aber auch kalkuliert ein, durchschaut die komplexen Zusammenhänge dabei jedoch meist nicht. So folgten in Australien auf die Kaninchen die Füchse und führten zum Aussterben vieler Beuteltiere. Weitere Beispiele gibt es zur Genüge (Agakröte, Ackerwitwenblume, usw.).
Auch Mitteleuropa ist aufgrund seiner Artenarmut bedingt durch eine nur langsame Wiederbesiedelung nach der Eiszeit eine empfindlichen Region. Neophyten können hier durch Konkurrenzvorteile oder in unbesetzten Nischen schnell Fuß fassen und sich nach Anpassung aggressiv ausbreiten. Es ist also notwendig eingeschleppte Arten zu beobachten und gegebenenfalls schnell zu bekämpfen, bevor das Problem unkontrollierbar wird. Zudem steigen die Kosten zur Beseitigung eines Neophyten, ebenso wie die durch ihn verursachten Schäden exponentiell.
Ein Großteil der eingeschleppten Arten kann sich hier nicht etablieren, da die Lebensbedingungen nicht denen des Heimatlandes entsprechen. Die übrigen fügen sich mehr oder weniger in die vorhandenen Lebensräume ein, ohne größere Auswirkungen auf Fauna und Flora zu haben. Diese Arten können so selten sein, das sie nur von einem Vorkommen bekannt sind und keine Ausbreitung zeigen. Andere gehören bereits zum allgemeinen Erscheinungsbild bestimmter Lebensräume, integrieren sich jedoch problemlos. Jedoch führen einige Arten hier wie in anderen Teilen der Erde zu massiven Problemen. Sie breiten sich unaufhaltsam in natürlichen Biotopen aus und verdrängen die einheimischen Arten. Sie zerstören dadurch auch die Lebensgrundlagen abhängiger Tiere oder Pflanzen, verändern den Naturhaushalt und stören die Pufferfunktionen eines vielfältigen Ökosystems. Einige Arten enthalten auch für den Menschen gefährliche Gifte oder verursachen Schäden in Landwirtschaft und Gewässerschutz. Zumeist besitzen sie gegenüber der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt Vorteile, da ihnen Fressfeinde und angepasste Parasiten fehlen.
Die in der Tabelle dargestellten Arten zeigen in Europa eine starke Ausbreitungstendenz und vernichten den Lebensraum einheimischer Pflanzen und Tieren. Hierbei gefährden sie ohnehin bedrohten Tierarten auch durch die Zerstörung der Vernetzungslinien zwischen Einzelbiotopen.
Beispielhaft sei hier das Vordringen von Neophyten wie Herkulesstaude, Topinambur und Springkraut in Schilfröhrichte genannt. Dieser ohnehin schon gefährdeten Lebensraum mit angepassten Bewohnern, wurde in einigen Gebieten bereits vernichtet.
In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass sich die Neophyten auch auf Standorten ausbreiten, die für den Naturschutz nicht von wesentlicher Bedeutung sind. So werden Straßenböschungen und Ruderalflächen nicht als wertvoller Lebensraum eingestuft. Eine Unterschutzstellung solcher Flächen ist auch nicht sinnvoll. Durch die aggressive Ausbreitung von Neophyten, z.B. des Orientalischen Zackenschötchens und der Kugeldistel, zeigt sich jedoch die Problematik mit der Verdrängung nahezu aller auf diesem Standort vorkommenden Arten. Durch den Einfluss des Neophyten werden diese ?mittlere? Standorte ohne Schutzstatus flächendeckend geschädigt. Es kommt zu einer extremen Verarmung der Flora und zu einem ?Seltenwerden? ansonsten verbreiteter Wegrandblumen. Es müssen also Wege gefunden werden solche katastrophalen Veränderungen durch Neophyten zu erkennen, zu stoppen und wieder rückgängig zu machen.
Viele der genannten Arten können auch auf Wiesen und Weideflächen Dominanzbestände bilden, da sie vom Vieh aufgrund ihrer Inhaltsstoffe oder Bedornung bis zuletzt verschmäht werden und dadurch einen zusätzlichen Konkurrenzvorteil besitzen. Aus Australien sind zudem zahlreiche Beispiele belegt, das eine Mangelernährung durch Standweide auf ausgeprägten Neophytenfluren zu Ertragsminderung bei Vieh oder sogar toxischem Tod führen kann. Auch die Heugewinnung auf solchen Flächen liefert naturgemäß minderwertiges Futter.
Die extensive Nutzung wie in Naturschutzgebieten und auf nach FUL-Programm bewirtschafteten Flächen wird durch Neophyten ad absurdum geführt, da sie noch zur Ausbreitung der Neophyten beitragen kann. Zur Bekämpfung ist dagegen bei vielen Arten eine mehrschührige Mahd nötig ist, um sowohl ihre Samenreife zu verhindern, als auch die Pflanzen zurückzudrängen. Intensivierung und frühe Mahdtermine führen zur Gefährdung von Bodenbrüter, wie z.B. dem Kiebitz. Auch seltene Pflanzenarten, die auf eine extensive Nutzung angewiesen sind, verschwinden.
Bisher dringen nur wenige Arten in Agrarland ein. Kandidaten für zukünftige Probleme stehen aber bereits fest. So dringen die Herkulesstaude, Kugeldistel und das Orientalische Zackenschötchen in verschiedene Nutzungsformen ein (Weinbau, Spargel, Zuckerrübe) und können sich hier ausbreiten.
Einzelne Arten wie Herkulesstaude, Springkraut, Topinambur und Sommerflieder werden als Bienenweide angepriesen und vielfach von Imkern angepflanzt. Viele dieser Arten blühen jedoch nur kurze Zeit und manch ein Imker hat den Tag der Anschaffung verflucht, wenn er sich später an den giftigen Herkulesstauden verletzt hat. Zudem möchten wir den Honig doch gerne aus naturnahem Anbau, wie er doch oft vom Gewerbe als Naturprodukt angepriesen wird.
Eine zweite Problemgruppe stellen die Jäger dar. Topinambur wird auch von offizieller Seite als Ablenkungsfutter für Wildschweine empfohlen. Das ist auch in Ordnung, da die Tiere zumeist ganze Arbeit leisten und die Bestände kurz halten. Leider gibt es immer wieder Jagdgenossen, die sich die Schwarzkittel ?herbeisehnen? und in wildschweinarmen Regionen Wildfütterungen anlegen, die außer Kontrolle geraten. Vor allem in der Nähe von Gewässern oder auf feuchten, nährstoffreichen Böden sollte daher die Fürsprecher von Ordnung und Regulation im Naturhaushalt von der Pflanzung dieser Art absehen.
Viele Neophyten finden als Zierpflanzen Verwendung. Einige Arten wird der Gärtner dabei gerne wieder los, da die Gartengestaltung ansonsten nicht mehr von ihm selbst übernommen wird. Hierzu zählen die verschiedenen problematischen Gehölze und der Staudenknöterich, die sich über Wurzelausläufer und Rhizome den Garten einverleiben. Andere Arten kann man durch rechtzeitiges Rückschneiden und Entsorgen der Samenstände über den Restmüll (nicht Biomüll!) kontrollieren. Auf unkontrollierbare Arten, wie Springkraut, Herkulesstaude und Kugeldistel sollte man generell tunlichst verzichten. Sie gehören auch nicht in das Sortiment einer verantwortungsbewussten Gärtnerei.
In vielen Ländern der Welt gibt es meist den Landwirtschafts- aber auch dem Naturschutzbehörden untergeordnete, speziell für Neobiota zuständige Behörden, die aktiv werden wenn sich abzeichnet das eingeschleppte Arten problematisch werden. Spezielle Projekte befassen sich mit der Bekämpfung durch angepasste Fressfeinde und Parasiten, die nur die Neophyten befallen. In vielen dieser Länder verursachen Neophyten große wirtschaftliche und ökologische Schäden, die den enormen Aufwand der Bekämpfung rechtfertigen. Länder die am Rande solcher Invasionen stehen handeln meist erst zu spät, obwohl die negativen Auswirkungen anderswo bekannt sind. Beispiele finden sich in Südafrika und Australien, deren klimatische Verhältnisse ähnliche Neophyten begünstigen. Mittlerweile besteht ein Informationsaustausch über Pflanzen die in einem der Länder unangenehm auffallen, um eine weitere Verschleppung zu verhindern. Sogenannte ?Schwarze Listen? besonders gefährlicher Arten existieren auch in Europa.
Es existieren eine ganze Reihe von Richtlinien, die den Umgang mit Neophyten EU-weit regeln. Hier ist vor allem das Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt zu nennen, welches auch in verschiedenen deutschen Gesetzesvorlagen auf nationale Anforderungen gebracht wurde. Allerdings erhebt man hierzulande zwar warnend den Finger, das akute Problem wird aber oft aus Kostengründen bagatellisiert. So ist es zwar Politik die Ausbreitung von Neophyten innerhalb von Forschungsprojekten zu beobachten, eine Reaktion erfolgt jedoch nur schleppend, uneinheitlich oder gar nicht. Das Bundesnaturschutzamt hält viele Neophyten gar für nicht mehr ausrottbar, und rät nur zu lokaler Bekämpfung in Ausnahmefällen. Das sich dadurch die Probleme nicht beseitigen, sondern im Besten Fall verzögern lassen dürfte einleuchten.
Ein Beispiel hierfür ist die Bekämpfung der Herkulesstaude durch die Verbandsgemeinden entlang der Selz in Rheinhessen. Einige führen seit Jahren vorbildliche flächendeckende Bekämpfung durch, gewährleisten auch die Nachkontrolle und melden neue Bestände. In anderen gibt es offiziell keine Pflanzen, daher entfällt die Notwendigkeit der Bekämpfung. Hier finden sich die Pflanzen Hektarweise und dringen wieder massiv in die bereits von der Pflanze befreiten Naturschutzgebiete entlang der Gewässer ein. Dadurch erhöhen sich die bereits gesunkenen Bekämpfungskosten der vorbildlich handelnden Verbandsgemeinden erneut.
Ein weiteres Beispiel findet sich auf den Seiten des Bundesnaturschutzamtes selbst. Hier wird beim Staudenknöterich (Reynoutria) geschildert, das er im Bereich des Hochwasserschutzes teilweise Schäden in zweistelliger Millionenhöhe verursacht, da seine Wurzeln Bauwerke sprengen und Dämme instabil machen können. Dagegen sei eine Bekämpfung nicht unbedingt notwendig, da die Art keine ausgeprägte Ausbreitung zeigt. Wie konnte sie dann aber dorthin gelangen wo sie die immense Schäden durch massenhaftes Vorkommen verursachte?
Eine gefährliche Verharmlosung ist auch die Aussage das Neophyten bisher keine anderen Arten ausgerottet haben. Invasive Neophyten haben das auch nicht vorrangig zum Ziel. Vielfach verändern sie die Ökosysteme jedoch so massiv, das dies über kurz oder lang passiert. Australien und viele Inseln mit einer langen Liste verlorener Arten sind hierfür trauriges Beispiel. In Europa ist es dagegen noch ein längerer Weg zum Strand. Daher sollte man immer nach dem Leitsatz handeln das Artenschutz vorrangig Lebensraumschutz ist.
Aber auch von Naturschutzseite wird die Strategie der Verharmlosung übernommen. Ein trauriges Beispiel zeigt sich im Naturschutzgebiet „Untere Nahe“. Hier wird mit öffentlichen Mitteln seit Jahren erfolgreich die Herkulesstaude bekämpft. Auch wenn diese Art auf eine kontrollierbares Maß gebracht werden konnte finden sich hier mit dem Orientalischen Zackenschötchen, Springkraut und Süßkartoffel und Kugeldistel ausgeprägte Neophytenfluren. Praktisch gibt es außerhalb der landwirtschaftlich genutzten Gebiete keine Bereiche ohne diese Arten. Große Teilbereiche werden ausschließlich von Neophyten bestanden. Daneben wurden in Initiative der Anliegergemeinden aber auch der Stiftung Natur und Umwelt Informationsschilder für den Naturfreund angebracht. Eines dieser Schilder befasste sich auch mit der Neophytenproblematik.
Kurz zusammengefasst: „Die Neophytenproblematik wird kontrovers diskutiert“ Fazit: Solange kein Expertenvotum feststeht gibt es keinen klaren Handlungsbedarf.
„Konkurrenz, Ausbreitung und Verdrängung sind natürliche Prozesse.“ Fazit: Diese Argumentation ist eine Rechtfertigung für Untätigkeit, da natürliche Prozesse in einem Schutzgebiet ja erwünscht sind. Die kritischen Arten in Europa sind aber nicht auf natürlichem Wege hierher gekommen und sie unterliegen hier auch nicht den natürlichen Regulationsmechanismen.
Weiterhin ist eine Weltkarte abgebildet, welche die Herkunft der 10 kritischsten Neophyten zeigt. Zur Verniedlichung des Problems steht davor ein Frosch mit Koffer und einer Sprechblase: „Die sind schon viel weiter herumgekommen als ich.“
Es ist schade, das für so etwas Steuergelder ausgegeben wurden, die eigentlich dem Naturschutz zugute kommen sollten.
Axel Schönhofer
mainz (at) gmn-ev.de
Weitere Informationen:
Faltblatt Kugeldistel als PDF
Faltblatt Zackenschötchen als PDF
Faltblatt Herkulesstaude als PDF
Laborjournal_7.08_Invasionsbiologie.pdf Quelle: www.Laborjournal.de |